Bäckermeister Habetswallner

Le goût est amor fati.
Pierre Bourdieu

 

Mein Platz ist halt zu gut. Zweite Reihe im Parkett. Sonst bin ich immer ganz hinten in einer von den letzten Reihen gesessen und immer am Rand, wenn die Lisi gesungen hat. Einmal war ich auch in einer Loge in der dritten oder vierten Reihe, da hab ich gar nichts gesehen. Aber man geht ja nicht ins Konzert, um was zu sehen. Obwohl ich hier in der zweiten Reihe, ganz in der Mitte, eine sehr gute Sicht hab. Zumindest auf das Orchester. Die Leut im Saal seh ich nicht, da waren die hinteren Plätze besser. Aber die Bühne seh ich zum ersten Mal so richtig. Der Dirigent fuchtelt und fuchtelt, die Jungfrauen im Chor stehen ganz artig da und machen nur den Mund weit auf. Der Busen bewegt sich auch, zumindest bei denen, die einen haben. Von den hinteren Reihen sieht man das gar nicht. Ganz schwarz angezogen, ganz keusch und christlich sind die Jungfrauen, hundert Jungfrauen leicht. Aber mein Platz ist mir zu gut, viel zu gut. Warum die Lisi so ein gutes Billet gekriegt hat? Wenn sie bloß nicht mit dem Chorleiter, dem Eisenberg oder wie er heißt. Eisner. Ein Jud, aber kein schlechter Musikant. Sogar ein guter Musikant, sagen die Leut. Und anständig. Aber wenn bloß die Lisi nicht nach dem Fiasko mit dem Feichtinger jetzt wieder. Die Anständigen sind ja die Ärgsten. Die Lisi war schwanger und der Feichtinger war weg. Der Leutnant Feichtinger hat sich für was Besseres gehalten. Der Cretin. Hat sich nach Galizien versetzen lassen und ward nicht mehr gesehen. Und ich hab müssen die Engelmacherin zahlen. Wenigstens ist die Lisi nicht gestorben, wie die Mladitz Toni, mit der sie dort war. Eine Bäckermeistertochter hält viel aus. Es ist wieder alles wie vor dem depperten Leutnant. Oder fast alles halt. Aber unter die Augen kommen braucht mir der nicht, aus dem mach ich Semmelbröseln.

So eine Wut hab ich bei so einer schönen christlichen Musik. Paulus-Oratorium von Mendelssohn-Bartholdy. War nicht der Paulus auch ein Jud? Zumindest hat er doch seine Brief immer an Juden geschrieben, das weiß ich. Und der Mendelssohn war bekanntlich auch ein Jud, aber ein christlicher, wie der Paulus. Sehr besinnlich die Musik. Aber halt sehr lang zum Sitzen, wo ich so früh aufstehen muss. Naja. Der Wagner ist mir schon näher mit den Meistersingern. Ich hab ja selber eine schöne Stimme, von mir hat die Lisi die Singstimme und die Musikalität. Nicht von der Gusti, die spielt zwar ganz gut Flöte, aber singen kann’s nicht. Ich wär ein guter Meistersinger gewesen, aber heute ist ja nichts mehr was. Und eine Wagner-Oper dauert immer noch viel länger als so ein Oratorium. Bleib ich halt sitzen, da hervorne. Neben mir sitzt einer, der mich beim Hinsetzen nur ganz kurz angeschaut hat. Regungslos und fast höflich hat er mich angeschaut, aber ich hab bemerkt, dass er bemerkt hat, dass ich mir so eine teure Karte nicht leisten könnte. Dabei könnte ich sie mir leisten! Das Geschäft geht ja wie geschmiert, seit Jahr und Tag bin ich der beste Bäcker im Bezirk. Wie viele Gesellen ich ernähre, und ihre Familien dazu! Aber irgendwie hat der Sitznachbar gleich gespürt, dass ich mir die Karte nicht gekauft hab. Vielleicht weil mein Anzug von einem Vorstadtschneider ist? Weil der Stoff nicht so fein ist? Der Schnitt zu altmodisch? Oder halt nicht passend für mich? Weil ich doch sehr kräftig bin. Oder weiß ich, vielleicht nur, wie ich gegangen bin, wie ich mich hingesetzt hab, das hat schon genügt. Oder die Hände? Vielleicht hat er gesehen, dass ich zwar keine Pranken hab wie ein Maurer, aber doch ein arbeitender Mensch bin, der eigentlich viel weiter hinten im Saal seinen Platz hat, wenn überhaupt. Und die Damen haben auch nur einen ganz kurzen Blick für mich gehabt, ich für sie aber übrigens genauso. Da schau ich mir lieber die Jungfrauen auf der Bühne an, und hör ihnen natürlich zu.

Wenigstens sitzen keine Uniformierten neben mir. Sind ja genug Offiziere im Saal. Was die in einem Oratorium wollen? Steigen höchstens den Mädeln im Chor nach. Ich war ja selber nicht viel anders früher. Obwohl ich kein Offizier war, nur ein einfacher Soldat. Ob viele Handwerksmeister da sind? Hat nicht der Wagner gesagt, die Juden können die Kunst nur als Handwerk? Die Deutschen haben den Geist und das Genie, die Juden nur das Handwerk? Nur das Handwerk? Das ist eigentlich die größte Sauerei von dem Wagner, die Handwerker so als Juden zu verunglimpfen, da scheiß ich auf den ganzen Antisemitismus.

Lobet den Herrn, ihr seine Engel, lobet den Herrn. Das ist schon der Schlusschor, gleich ist es aus. Es ist, als würd ich die Stimme von der Lisi aus all den vielen Stimmen heraushören. Wie ein Glöckerl so hell und so rein und so schön. Erhebend dieser Schlusschor, wunderschön das ganze Konzert, wirklich wunderschön. Bravo! Bravo!

Ich klatsche, bis der neben mir aufgehört hat zu klatschen, und dann noch ein paar Mal, damit der nicht glaubt, ich hab aufgehört, weil er aufgehört hat. Es hat halt mir ein bisserl besser gefallen als ihm. Weil ich bin ein sehr musikalischer Mensch und eigentlich auch ein Christ. Ob der da überhaupt Noten lesen kann? Die Lisi kann’s jedenfalls, und wie! Naja, die Leut bleiben alle so lange sitzen, obwohl’s schon aus ist. Wann steht endlich wer auf? Es hätt gar keinen Sinn, wenn ich aufstehn tät, ich sitz ja in der Mitte, ganz in der Mitte, ich kann erst hinaus, wenn die anderen gehen. Herrschaftszeiten, worauf warten die?

Na endlich. Jetzt geht’s ganz geschwind. Es ist gar kein Gedränge hier hervorne. Na gut, kurz werd ich schon warten müssen bei der Garderobe. Ist der da ein Jud? Von der Nase her schon. Aber zum Glück kaum Offiziere. Mehr Judenschädeln als Militärschädeln. Ist mir eh fast noch lieber. Gleich komm ich dran, mein feiner Sitznachbar hilft seiner Gemahlin schon in den Mantel. Da ist meine Gusti schon noch was anderes dagegen, zumindest gewesen. Die alten Schachteln. Wenn ich mir nicht hin und wieder eine Junge leisten könnt, ich würd verzweifeln. Hinter mir drängen die Leut, das sind die Vielen von den hinteren Plätzen. Hier kommt eh alles zusammen, bei der Garderobe. Wie im Magen. Wie im Himmel. Oder halt in der Hölle.

So, ich krieg schon meinen Mantel. Hinter mir brüllt einer seine Nummer und springt mit dem Garderobier um wie kein Meister nicht mit seinem Lehrbub.

,,,,Na hab’n Sie keine Augen? Da hängt er!““ sagt er. Selber eine Rotzpipn, wer so mit wem redet. Jetzt drängt er mich auch noch zum Garderobentisch.

„Geduld, Geduld,“ sage ich. „Nur ein bisserl Geduld!“

,,,,Machen Sie doch Platz!““ Frechdachs.

„Na, Sie werden’s auch nicht versäumen,“ sage ich mit größter Ruhe.

,,,,Ruhig!““ höre ich. Im Augenwinkel sehe ich einen jungen Kerl.

„Was meinen Sie?“ Ich sage es wie „Was meinst du?“ Er stößt schon wieder.

„Stoßen Sie nicht!“

,,,,Sie, halten Sie das Maul!““

„Wie meinen?“ Ich drehe mich um. Ein Militärschädel! Ein frecher junger Bub. Ein Leutnant. Kommt mir sogar bekannt vor. Ein Dutzendgesicht. Wie der Feichtinger.

„Sie, Herr Leutnant,“ und ich sage das in meiner Wut ganz von oben herab, ich lasse mir meine Wut nicht anmerken, „sein S‘ jetzt ganz stad.“

Wie ein Lehrbub steht er da, der kleine Schmarren von Leutnant. Ich hab seinen Säbel ganz fest in meiner Bäckermeisterhand. Will er Händchen halten, oder was fummelt der da herum? Den Griff von seinem Säbel lass ich nicht mehr aus. Aber ich kenn ihn, jetzt wo ich so ganz aus der Nähe anschau, bin ich mir sicher, ich kenn ihn doch! Herrgott, woher kenn ich denn den?

„Herr Leutnant, wenn Sie das geringste Aufsehen machen, so zieh ich den Säbel aus der Scheide, zerbrech ihn und schick die Stück an Ihr Regimentskommando. Verstehn Sie mich, Sie dummer Bub?“

Au weh, das hätt ich nicht sagen sollen. Jetzt tut’s gut, das so zu sagen, aber nur in mir drinnen. Später werd ich es, das weiß ich schon jetzt, bereuen, denn draußen in der Welt ist nicht drinnen in mir. Aber gut tun tut’s schon, den Leutnant so am Schlawittchen, so am Säbelgriff zu haben. Trotzdem muss ich ihn loslassen, sonst bin ich am Ende der Blamierte oder er sticht mich von hinten ab, wenn ich rausgeh.

„Aber ich will Ihnen die Karriere nicht verderben. Also schön brav sein!“ Das kommt gut, der duckt sich immer kleiner zusammen. „So, hab’n S‘ keine Angst, ’s hat niemand was gehört … es ist schon alles gut … so!“ Jetzt drehe ich ihm noch einmal den Säbel von Körper weg, gleich lass ich los. „Und damit keiner glaubt, dass wir uns gestritten haben, werd ich jetzt sehr freundlich mit Ihnen sein!“ Jetzt lass ich ihn los. „Habe die Ehre, Herr Leutnant, hat mich sehr gefreut — habe die Ehre!“

Wo ist mein Mantel? Ach so, ich hab ihn schon an. Schnell weg. Ehre, hab die Ehre. Wenn das Leutnanterl bloß nicht mit seiner Ehre hinter mir her ist. Ganz schnell muss ich raus da. Der dürre Kerl schlängelt sich ja durch die Leut durch wie nichts. Hätt ich ihm doch den Säbel zerbrochen. Aber Blödsinn! Hätt ich doch gar nichts gemacht, hätt ich mich doch beherrscht! Jetzt ist es zu spät. Nur schnell raus hier.

Wo ich doch sonst so ein besonnener Mensch bin. Aber zuviel ist zuviel. Vielleicht war auch das Konzert zu lang, unmenschlich lang, da kriegt der friedliebigste Christ eine Wut bei den ewigen Engeln und Aposteln. Ich muss hinaus auf die Straße.

Ah, ich bin ja schon auf der Straße heraußen. Wie bin ich denn da hergekommen? Schnell in einen Fiaker, denn zu Fuß bin ich zu langsam, der Leutnant holt mich ein und meuchelt mich für seine Ehre, sonst ist er ja kein Soldat mehr, kein Offizier mehr. Das Armutschkerl. Nein, die Fiaker stehen ewig da vorne an der Kreuzung, wieso stauen sich die denn so? Der sieht mich und stellt mich, aber nur er hat einen Säbel. Und der Skandal, das kann ich der Lisi nicht antun. Die Lisi wär blamiert, ruiniert wär sie, wenn ich dem Leutnant eine schmier, wenn ich ihn niederhau vor der Oper oder da wo auf dem Ring. Da drüben sind so viele Leut, da renn ich hinüber, dann sieht mich niemand.

So, jetzt ist’s vorbei mit der Hast. Wer bin ich denn, dass ich mich abhetz? Schön langsam und bedächtig, Bäckermeister! Na bitte, hinein in die Gasse da. Ha, in dem Haus da drüben war ich vor, naja, vor fünfundzwanzig Jahren! Hat sich überhaupt nicht verändert. Ob die Dings noch drinnen wohnt? Die schaut heut aber sicher anders aus wie damals. Ich war ja öfter in der Stadt bei einer, wenn der Herr Gemahl irgendwo bei einem Manöver war. Ich hab schon meine eigenen Manöver gemacht mit den Damen in der Stadt. Einmal sogar mit einer von einem General. Mich haben die Ränge ja nie interessiert. Selber war ich froh, wie ich abrüsten hab können als einfacher Soldat, obwohl’s mir als Bäcker auch bei der Armee gut gegangen ist. Als Bäcker geht’s einem ja immer gut, denn die Leute brauchen ein Brot. Semmerln braucht das Volk, bis hinauf zum General, bis zum Kaiser hinauf. Und das Volk isst Kaisersemmerln, obwohl ja eigentlich der Kaiser Volkssemmerln isst. Den Leuten schmeckt’s halt besser, wenn’s Kaisersemmerl heißt, als wenn’s Gsindlsemmerl heißen tät, obwohl das ärgste Gsindl dasselbe Semmerl isst wie unser Kaiser. In jedem Kaffeehaus …

Jetzt schießt’s mir ein. Jessas Maria! Aus dem Kaffeehaus kenn ich den depperten Leutnant, aus dem Kaffeehaus! Wo ich Karten spiel mit dem Schlesinger und dem Wasner. Und daneben sitzen immer die Offiziere, essen auch zum Frühstück meine Semmerln dort, wenn’s ist. Und der Leutnant kiebitzt manchmal bei den Offizieren am Nebentisch, meiner Seel! Das war er, der Kiebitz von den Offizieren aus dem Kaffeehaus! Weil mitspielen lassen sie so eine halbe Portion ja eh nicht. Aber warum hab ich ihn nur so müssen maßregeln, Herrschaftszeiten! Weil die kennen ja keinen Spaß, die Offiziere! Die sind ja nichts, wenn sie nicht zuhauen. Die können ja nichts, außer zuhauen. Wenn der Leutnant mich nicht kennen tät, wär’s wurscht, aber so! Aber so kann ich nie mehr ins Kaffeehaus gehen. Und auch wenn ich nie mehr ins Kaffeehaus geh, wird mich der Cretin finden, muss er mich finden und ruinieren, sonst ist ja er ruiniert, auch wenn’s bei so einem nicht viel zu ruinieren gibt. Unnötiger Rotzbub von einem Leutnant, wirklich wahr!

Maria Joseph, ich hätt ja beim Bühneneingang auf die Lisi warten sollen. Das hab ich ganz vergessen, so blöd bin ich von dem ganzen Konzert und der Offiziersaffaire. Soll ich jetzt noch einmal zurück? Es dauert je eh immer eine Ewigkeit, bis sie kommt, wahrscheinlich weil sie mit dem Eisner. Aber wahrscheinlich ist sie schon weg. Der Leutnant wird nicht wissen, dass sie meine Tochter ist, woher denn auch? Aber was, wenn er doch dort ist? Das geht nicht. Ich kann auch nicht wieder den ganzen Weg zurückgehen, ich bin das nicht mehr gewohnt.

„Fiaker!“ Bleibt schon stehen. „In den Goldenen Fasan, bitte!“ Endlich sitzen. So weit bin ich schon lange nicht mehr gegangen. Man wird ja ganz narrisch, wenn einem so was passiert. Wenn man so was macht. Weil ich hab den Leutnant behandelt wie einen Lausbub. Was muss er auch so ein Krischpindl sein? Ohne schweres Gepäck kann so einer wahrscheinlich die ganze Nacht spazieren, aber das Vaterland verteidigen? Wohl kaum. Jetzt hab ich ihm seine Ehre genommen. Und was hab ich? Hab ich jetzt die Ehre? Nein, die Schuld hab ich, die Schuld! Ich hab ihm die Ehre genommen und hab jetzt die Schuld! Weil ich ja nur auf das gehört hab, was in mir war, wegen dem depperten zu guten Platz, dem depperten höflichen Trottel und seiner schiachen alten Schachtel neben mir und vor allem wegen dem saudepperten Leutnant Feichtinger! Wenn er wenigstens ein Hauptmann gewesen wär, der Kiebitz, aber so ein Nebbich ist ja immer ein Leutnant. Ab einem Hauptmann brauchen sie sich nicht mehr ungebührlich gegen Zivilisten zu benehmen, die Offiziersgfrasta, die unnötigen. Aber ungebührlich benommen, kruzitürken, hab ja ich mich!

Ich muss was essen. Und was trinken. Hab ich zum Fiaker gesagt, zum Goldenen Fasan? Das war gescheit, das war eine Eingebung. Ich brauch ein gutes Papperl und vor allem ein Bier, dann wird’s wieder gehen. Das dauert so lange, so ein Konzert, und essen und trinken soll man nichts. Die Lisi und die Gusti werden sich schon keine Sorgen machen, wo ich bleib. Obwohl ich natürlich morgen früh auf muss. Naja, ein Bradl und ein, zwei Bier, das muss schon gehen.

Aber wie ich mich da wieder hinauswinde, weiß ich wirklich nicht. Soll ich vielleicht den Leutnant in der Kaserne suchen? Es ist unmöglich. Und wenn er mich sieht, glaubt er sicher, ich erzähl allen die Geschichte. Auch wenn er mich nicht sieht, glaubt er das. Und fordern kann er mich ja nicht, weil ich nicht satisfaktionsfähig bin. Im Kaffeehaus spiel ich Tarock, während er am Nebentisch kiebitzt. Einen Bäckereibetrieb mit achtzig Leut hab ich und führ ich, während ein Leutnant wie viele unter sich hat? Ernähren tut er sie jedenfalls nicht. Ich schon. Aber für ein Duell komm ich nicht in Frage. Mit einem Doktor würde er sich duellieren, mit einem Meister nicht. Naja, ich würd mich auch lieber mit einem Doktor streiten. Als mit einem Offizier. Ein Doktor hat immerhin studiert, kann also kein ganzer Trottel sein. Aber ein Offizier ist ein erwiesener Depp. Ein Offizierspatent ist ein Deppenpatent. Aber es geht mich eigentlich nichts an, was der dumme Bub denkt. Viel denkt der jedenfalls sicher nicht. Aber er müsste mich eigentlich umbringen, sonst jagen sie ihn fort aus der Armee, wenn die Sach bekannt wird. Und wenn er mich umbringt, was er ja fast nicht zusammenbringen wird, sperren S‘ ihn ein. Ist freilich sein Problem. Wär er stad gewesen, hätt ich in aller Ruh die Lisi abgeholt und wär schon daheim.

„Stimmt schon.“

,,,,Dankeschön, Herr Bäckermeister, vergelt’s Gott!““

Sogar der Fiaker weiß, wer ich bin. Das Wien ist ein Dorf, wirklich wahr. Ob’s der Ober Hans schon weiß vom Leutnant? Kann er ja gar nicht! Bin ich gescheit? Da ist eh frei im Eck, da hab ich einen guten Überblick. Nicht dass ich Angst hätt, es könnt wer hereinkommen und mich malträtieren wollen. Aber wissen tut man’s nicht bei den Offizieren.

„Einen Kalbsbraten und ein Helles, bitte.“

,,,,Sehr wohl, Herr Habetswallner. Das Bier kommt sofort.““

Das heißt, der Kalbsbraten wird dauern. Naja, ein Bier ist ja fast ein flüssiges Brot, gegen den ärgsten Hunger hilft’s. Ja, das rinnt gut! Wenn ich ein Braumeister wär, würd ich auch so ein Bier machen. Oh, das rinnt gut. Na, ich muss mich ja ein bisserl sputen mit dem Trinken, die Gusti kann ja nicht schlafen, bevor ich nicht heimkomm.

„Gehn S‘, Herr Hans, sein S‘ so lieb, noch ein Helles, bittschön!“

Dabei hab ich gar noch nicht ausgetrunken. Aber bis er’s bringt, vergeht wieder eine Weile. Es sind ja doch recht viele Leut da. Bemerk ich erst jetzt. Dabei ist es schon viertel auf elf, und morgen ein Wochentag. Naja, ist ja nicht jeder ein Bäcker. Ich mein, ich back ja auch nicht mehr selber als Meister, meine Gesellen und Lehrbuben fangen natürlich früher an als wie ich. Aber zeitiger als das Wirtshauspublikum steh ich immer noch auf. Schon weil ich’s so gewohnt bin.

Aber ob’s mich morgen freut aufstehen? Fragt dich ja keiner, ob’s dich freut. Und wennst nicht aufstehst, wennst nicht dahinter bist, tanzen dir bald die eigenen Leut im Geschäft auf der Nase herum, die Lieferanten ziehen dir die Hosen aus, die Kunden kaufen bei der Konkurrenz und dann bist du bankrott und kannst dich aufhängen. Oder halt erschießen. Wobei ich mich weder aufhängen noch erschießen würd, nie. Das weiß ich sicher. Ich würd mich vergiften. Womit, weiß ich nicht sicher, weil wir haben ja im Bäckereibetrieb nichts Giftiges. Aber dass ich mich, wenn, dann vergiften würd, weiß ich ohne Zweifel. Das ist das Zivilisierteste. Macht am wenigsten Dreck, hält die Leich halbwegs intakt. Obwohl man wahrscheinlich eine ungesunde Gesichtsfarbe kriegt als ein vergifteter Toter. Aber sie schminken einen dann ja eh. Obwohl einen Selbstmörder vielleicht nicht. Außer man zahlt dem Arzt und dem Pfarrer ein bisserl was. Schreiben’s halt, das Herzerl war’s. Oder ein Schlagerl. Ist nicht gelogen, und keiner merkt was.

Wie lang steht denn der Kalbsbraten schon da? Na, ist eh noch warm. Schmeckt eh gut. Die Erdapferln sind vielleicht ein bisserl zu hart. Aber das Fleisch ist ein Gedicht. Was kriegt ein Verurteilter als letztes Gericht? Obwohl sie ja kaum noch wen aufhängen oder erschießen. Vergiften sowieso nicht, glaub ich. Die Richter alles Juden und Sozialisten. Und der Kaiser pardonniert einen jeden Dahergelaufenen. Er ist fast zu gut, der Kaiser. Mich würd er auch pardonnieren. Einen gewissenhaften Bäckermeister, braven Untertanen und fürsorglichen Familienvater würde der Kaiser ungeschaut pardonnieren, wenn ich etwa den Leutnant heimdreh. Weil was soll ich tun? Wenn sie in Regimentsstärke anrücken, hab ich keine Chance, aber allein kann der zniachtige Leutnant sogar mit einer Puffn nicht gegen mich an.

Der Kalbsbraten wird nicht weniger. Wo ich doch so ein guter Esser bin. Was ist mit mir? Ist mir von dem Leutnant sogar der Appetit vergangen? Verrecken soll er, der Häuslratz!

Meiner Seel, Häuslratz. Das Rattengift haben sie doch unlängst im Keller ausgelegt. Dass mir das erst jetzt einfällt. Arsen oder was das ist. Da könnt man leicht wen heimdrehen, mit dem Rattengift bei uns im Keller.

„Herr Hans, bringen S‘ mir noch ein Krügerl, bittschön.“

Der Kalbsbraten wird nicht weniger, aber das Bier ist schon wieder aus.

„Und ein Schnapserl dazu, Herr Hans. Einen Zwetschgenen.“

Na, kommt ja schon. ,,,,Bitteschön, der Herr.““

„Danke. Fürn Magen,“ sage ich zum Herrn Hans, heb den Zwetschgenen und trink ihn aus. „Ein zweiter kann auch nicht schaden, wenn ich bitten darf.“

,,,,Kommt sofort, Herr Habetswallner.““

Mit Schimpf und Schand werden’s den Leutnant Kiebitz, den Häuslratz, verjagen. Mit Schimpf und Schand und ohne alle Ehr. So ist das. Einmal nicht aufpassen, einmal unbeherrscht sein, und alles ist vorbei. Und ich bin schuld. Zweifellos alles meine Schuld, in der Hauptsach sicher. Sogar der Appetit ist mir vor lauter Schuld vergangen. Zum Glück noch nicht der Durst.

,,,,Hat’s nicht gepasst, Herr Habetswallner?““

„Nein, war eh ausgezeichnet, aber wissen S‘, mein Magen ist heute so flau. Geben S‘ mir noch so einen Zwetschgenen, einen doppelten, bittschön, und dann zahl ich.“

,,,,Sehr wohl, Herr Bäckermeister.““

Vier Bier hab ich gehabt? Na, wenn er’s sagt, der Herr Hans. Auf jeden Fall muss ich ihm ein ordentliches Trinkgeld geben.

,,,,Dankeschön, Herr Habetswallner, gute Nacht!““

Na, eine gute Nacht wünsch ich mir selber auch, mehr brauch ich nicht. Fast richtig angenehm, die Luft auf der Gasse. War doch recht stickig im Fasan. Die vielen Leut, der Tabakrauch, der Küchendunst. Mond seh ich keinen, Sterne auch nicht. Es muss zugezogen haben. Zum Glück hab ich nicht weit heim, sonst komm ich womöglich noch in einen Regen.

Es ist komisch, mir fällt nur der alte griechisches Philosoph ein, der aus Athen, den sie zum Tode verurteilt haben. Weil der nämlich auch ein Handwerker war, ein Steinmetz. Ein Steinmetzmeister, der das Gift nicht hätte schlucken müssen, der sich hätte können herauswinden. Weil damals war ein Handwerksmeister noch jemand. An den muss ich jetzt denken, an den athenischen Steinmetzmeister, weil meine Eltern sind ja lang schon tot, meine Schwester eine Großmutter, was soll ich an die denken? Die Lisi wird einen jungen Gesellen heiraten und er mein Geschäft, was soll’s. Gibt Schlimmeres. Und die Gusti, ha ha ha! Die Gusti wird den Pfarrer schmieren und den Doktor auch. ,,,,Der Schlag hat ihn getroffen!““ wird sie sagen und ein Kuvert ins Sakkotascherl schieben. ,,,,Der Schlag hat ihn getroffen!““

Endlich bin ich da, alles dunkel. Und die Kellerstiege ist überhaupt das Dunkelste. Da ist die Latern. So. Da ist ein Rattengift. Und da auch. Schluck ich schnell.

Und hinauf in die Wohnung. Wird schon nicht so schnell wirken, das Zeug. Ist ja für Ratten gemacht, und die sind doch etwas kleiner als ein Bäckermeister. Latern ausblasen, schön brav und ordentlich bis zum Schluss. Die Gusti wird noch wach sein. Ich wank, die Stiege ist so lang. Die schwankt, die Stiege. Ich fall


Version vom 1. Jänner 2015

© Kurt Leutgeb