Humana fraus, Bühnenfassung. Erster Akt.

I

A

1. Kräuterküche der Cornelia. Sklavinnen bei der Arbeit. Onodulus, den Betrieb inspizierend. Prima, sich waschend. Cornelia.

Prima: Herrin! … Ich möchte … Herrin! Heute findet das Fest statt, zu dem ich jedes Jahr gehen darf.

Cornelia: Ein Fest?

Prima: Das Sonnenfest. Das die Leute von meinem Volk feiern im Minervatempel. Auf dem Aventin drüben. Der Feiertag von Jupiter von meinem Volk.

Cornelia: Und?

Prima: Ich möchte mich abmelden.

Cornelia: Nein, das geht nicht. Du weißt, dass wir wegen der Seuche Tag und Nacht produzieren müssen. Ich kann dich nicht fortlassen.

Prima: Aber …

Cornelia: Aber? Was ist los mit dir? Hast du vergessen, was du bist? …Wer du bist? … Du weißt, dass wir ein Ziel haben. Wir haben ein ehrgeiziges Ziel. Du und ich und die Frauen in dieser Kräuterküche und die Frauen in den anderen Kräuterküchen in Rom. Wir wollen, dass wir Frauen die Macht und die Rechte erlangen, die uns zustehen, die uns aber von den Männern vorenthalten werden. Nur durch uneingeschränkte Solidarität können wir gegen das Patriarchat etwas ausrichten. Feste feiern bringt uns da nicht weiter. Denk daran, welche Vorteile du haben wirst, wenn unser Kampf erfolgreich ist. Sklavinnen wie du werden dann über die weibliche Linie vererbt und fallen nicht mehr beim Ableben der Herrin an einen männlichen Verwandten. Überhaupt werden Frauen dann uneingeschränkt und ohne den Umweg über einen männlichen Rechtsvertreter über ihre Sklavinnen und Sklaven verfügen können, auch die Kinder der Sklavinnen werden nicht mehr ohne weiteres … Aber das weißt du ja, wozu zähle ich dir all die Vorteile auf, an denen auch du teilhaben wirst? Also husch, zurück an die Arbeit! Jedes Kraut, das gegen die männlichen Unterdrücker gewachsen ist, müssen wir nützen! Nach Mitternacht kannst du dich schlafen legen, und morgen mit dem ersten Sonnenstrahl arbeitest du weiter für die Sache der Frauen!

2. Ebendort. Sergia ist gekommen.

Sergia (zeigt zu Onodulus): Ein Mann?

Cornelia: Das ist Onodulus, ein Grieche. Er gehört Tiberius Aemilius Mamercinus, dem gewesenen Konsul. Hat auf Kos studiert, ist angeblich ein erstklassiger Arzt.

Sergia: Aber du lässt doch außer Marcipor keine Männer in die Kräuterküche.

Cornelia: Die tierähnlichen Gestalten, die wir von den Landgütern hereinholen müssen, seit die Seuche die Nachfrage nach unseren Medikamenten steigert, kann ich nicht hereinlassen. Meine Frauen duften ja auch nicht eben, aber diese Kerle stinken wirklich bestialisch. Onodulus ist auf alle Fälle kein Tier, auch wenn er dem männlichen Geschlecht angehört. Und ich konnte Mamercinus die Bitte schlecht abschlagen. Der Grieche bereitet ihm irgendwelche speziellen Medikamente. Vertraut uns wohl nicht.

Sergia: Aber … !

Cornelia: Sei ganz beruhigt, wir haben alles gut versteckt. Er presst das Öl des Wunderbaumes und entsorgt die Samen eigenhändig, und wir tun, als täten wir das auch so. Die Frühlingsknollenblätterpilze haben wir im Keller versteckt. Und meine Frauen halten dicht.

Sergia: Du siehst aber etwas angespannt aus.

Cornelia: Eine von den Frauen hat mich gerade geärgert. Dass heute ein römischer Feiertag ist, weiß die Dumpfbacke ja nicht, aber sie will zum Fest ihres ausländischen Sonnengottes. Und als ich ihr sage nein, kommt sie mir frech.

Sergia: Die glauben, wir könnten das Patriarchat mit Feste-Feiern besiegen. Ich verstehe auch nicht, warum wir die ganzen fremden Kulte nicht endlich unterbinden. Bist du auch nicht zu nachsichtig gegen deine Mägde?

Cornelia: Ich kann sie schlecht bei jeder kleinen Verfehlung auspeitschen lassen, wo sie doch jetzt unsere Mitstreiterinnen und Mitwisserinnen sind. Natürlich tue ich nie mehrere zusammen, die dieselbe Sprache sprechen, lasse ihnen keine Muße und wahre immer die gehörige Distanz.

Sergia: Ganz ohne Körperstrafen wird es halt nicht gehen. Na gut, mein Gefolge wartet. Was ich sagen wollte: schick mir bitte morgen in der Früh einen Sack Schierling und einen Sack Nieswurz. Wir produzieren so viel, dass uns dauernd die Rohstoffe ausgehen.

Cornelia: Mache ich!

3. Ebendort. Cornelia und Onodulus.

Onodulus: Es wird bald dunkel, ich muss heim zu Mamercinus.

Cornelia: Grüß mir deinen Herrn schön! Er kann sich glücklich schätzen, dass du dich so um ihn kümmerst.

Onodulus: Er hat schon zwei Brüder und seinen besten Freund an die Seuche verloren. Es ist eine seltsame Krankheit, die fast nur Herrschende befällt. Je mehr Macht, Geld, Ansehen jemand hat, desto wahrscheinlicher befällt ihn die Seuche. Das hat es noch nie gegeben. Und mein Herr als gewesener Konsul gehört ganz bestimmt der Risikogruppe an.

Cornelia: Es war klug von ihm, dich zu schicken.

Onodulus: Um ehrlich zu sein, war es meine Idee. Andere Herren haben ihre Leibärzte auspeitschen lassen, als sie an der Seuche erkrankten, und einen Kommilitonen von mir wollten sie kreuzigen, weil sein an der Seuche verstorbener Herr es testamentarisch so verfügt hatte. Zum Glück hatte er Gift und konnte sich selbst ein Ende bereiten.

Cornelia: Gift?

Onodulus: Keine Angst, ich habe keines! Deswegen war ich ja hier, um sicherzugehen, dass ich die besten Heilkräuter aus der besten Heilkräuterküche für Mamercinus bekomme.

Cornelia: Grüß mir deinen Herrn schön!

4. Prima mit zwei Säcken auf dem Weg zur Kräuterküche der Sergia. Später Fabius mit Gefolge.

Prima: Die gnädige Herrin schickt mich mit den Giftblumensäcken zu ihrer Freundin. „Du siehst so blass aus, Prima!“ Wie soll ich aussehen, wenn ich jeden Tag von Sonnenaufgang bis Mitternacht arbeiten muss? … Oh, wie es nieselt! Ein wenig bin ich vom Schweiß feucht und ein wenig vom Nieseln. Auf hundert Schweißtropfen kommt ein Nieseltröpfchen. Wenn es doch richtig regnete! … Die Herrin hasst mich, weil ihr Mann mich immer zu sich geholt hat, wenn sie auf dem Land war. Das war vor meinen Geburten. Von Publius habe ich immer Geschenke bekommen, und von den meisten anderen Männern auch, als ich noch im Bordell arbeitete. Von der Herrin bekomme ich die Aussicht auf die Frauenherrschaft. Vor zehn Tagen fand dort drüben auf dem Aventin beim Minervatempel das Fest der Flötenspieler statt. Acht Mal schlafen und es war das Fest der Tempelweihung. Ein Mal schlafen und es war, nämlich gestern, das Sonnwendfest meiner Leute. Und sie ließ mich nicht hin, die alte Sau! … Nur wer blind geboren wurde, ist wirklich blind. Wer einmal sehend war, bleibt es irgendwie auch dann, wenn er erblindet ist. Und wer einmal frei war, ist nie so ganz und gar unfrei wie ein geborener Sklave, auch wenn er in die Sklaverei gerät wie ich mit zwölf Jahren, als die römischen Soldaten kamen, unser Dorf niederbrannten, die Männer erschlugen und die Frauen und Kinder in der nächsten Stadt auf dem Markt verkauften oder nach Rom führten. Meine Verwandten habe ich nie mehr gesehen, ich würde meine Mutter auch gar nicht mehr erkennen, wenn sie noch am Leben wäre. Aber vor ein paar Jahren ging ich zum ersten Mal zum Sonnwendfest unserer Leute. Einige Männer haben sich freigekauft. Einer ist Schmied, ein anderer braut Getränke. Als einige betrunken waren, bin ich bald gegangen. Ein paar haben auch den Dialekt des Nachbarstammes gesprochen, der uns an die Römer verraten hat. Aber es war wie wieder sehen nach langer Blindheit, als ich wieder meine Sprache sprach. Und im Jahr darauf haben wir einander unsere Namen gesagt. Nicht die Sklavennamen, die wir in Rom tragen, sondern unsere früheren Namen, die wir in der Heimat trugen. Als ich ein Kind war, war ich ich und frei. Aber gestern durfte ich nicht zu dem Fest gehen, musste bis Mitternacht Gift mischen für die Sache der Frauen.

Quintus Fabius Maximus kommt mit kleinem Gefolge die Straße herunter. Sonnenstrahlen brechen durch die Wolkendecke und fallen auf sein Gesicht.

Der Sonnengott! Unser Sonnengott, mein Sonnengott schickt mir diesen Mann. Das ist der kurulische Ädil. Vor Jahren war er bei mir. Großer krummer Schwanz. Aber erkennt mich bestimmt nicht mehr.

Die Wache will Prima, die sich Fabius in den Weg stellt, wegpeitschen, doch er gebietet ihr Einhalt.

Fabius: Was willst du?

Prima: Ich weiß was.

Fabius: Was weißt du denn?

Prima gibt Fabius zu verstehen, dass sie privatim mit ihm konferieren will. Fabius tritt unter einen Baum und winkt Prima zu sich her.

Prima: Ich weiß, warum so viele bessere Leute erkranken und sterben. Die Seuche ist kein Werk des Himmels, sondern von Menschen gemacht. Ich will dir zeigen, wer schuld ist. Du bist ein kurulischer Ädil, dir unterstehen die Büttel und du kannst Recht sprechen. Deshalb will ich dir alles sagen. Aber ich bitte dich, mich zu schützen. Ich bin schuldlos und will vielen guten Menschen das Leben retten. Bitte garantiere mir, dass mir meine Anzeige nicht schaden wird. Dann sage ich dir alles.

B

1. Atrium des Spurius Novinius. Dieser und Thrax. Halbherzige sexuelle Avancen des Spurius, die er immer wieder abbricht, da Thrax nicht sehr attraktiv ist.

Spurius: Quintus Fabius Maximus ist ein Schwarzer. Und das ist sehr gut so, denn ich bin ein Roter.

Thrax versteht nicht.

Spurius: Die Schwarzen sind die Anhänger der Schwarzen beim Pferderennen. Ihre Wagen und Pferde und Reiter tragen schwarze Bänder, deshalb nennt man sie die Schwarzen. Und die Anhänger der Schwarzen beim Pferderennen sind auch politisch eine Partei, die man die Schwarzen nennt, eben weil sie beim Pferderennen zu den Schwarzen halten. Die alten patrizischen Familien sind allesamt Schwarze, neuerdings auch einige reiche Plebejer, die meisten Tempeldiener und Priester und so gut wie alle Bauern rund um Rom. Wenn du jetzt meinst, dass das gar nicht viele Leute sind, irrst du dich! Denn du darfst nicht vergessen, dass die gesamte Klientel jeder einzelnen patrizischen Familie ebenfalls schwarz ist, und nimm dazu noch die vielen Abhängigen der Tempeldiener und Priester und dann noch die unzähligen Kinder der Bauernfamilien, die Kriegsdienst leisten oder niedrige Ämter im Staatsdienst bekleiden, und du wirst sehen, dass die Schwarzen auch zahlenmäßig stark sind und in Rom sicher nicht weniger zu sagen haben als die Roten, zumal sie viel reicher sind. Die Roten sind die Anhänger der Roten beim Pferderennen, sie schmücken ihre Wagen, Pferde, Reiter mit roten Bändern. Ich selbst bin, wie schon mein Vater und fast alle Verwandten, auch ein Roter, weil wir eben alteingesessene Plebejer sind, weil meine Familie zwar noch nicht berühmt, aber angesehen und sehr wohlhabend ist.

Thrax: Warum ist es gut, dass Fabius ein Schwarzer ist und du ein Roter?

Spurius: Weil so niemand Verdacht schöpfen wird.

Thrax: Verdacht?

Spurius: Mach dir keine Sorgen, Thrax! Es war töricht von mir, dir die römische Politik erklären zu wollen. Du bist eine Frau, zudem eine Sklavin. Sei froh. Sei bloß froh, dass die Blauen nicht noch mehr Macht erlangen, sonst ergeht es dir schlecht! Und hüte dich vor den Grünen mit ihren sklavereireformerischen Phantastereien! Die würden alle den Praxistest nicht bestehen, und die Leidtragenden wärt ihr Unfreien. Aber vergiss die Politik, sie ist nur ein Nebel. Tu einfach alles genau so, wie wir es vereinbart haben.

Thrax: Dann kann mir nichts geschehen?

Spurius: Dann kann dir nichts geschehen. Und mit der Belohnung, die du von mir bekommst, kannst du dich freikaufen. Und dir bleibt eine schöne Mitgift.

Thrax: Mitgift? Wer soll mich denn wollen?

Spurius: Natürlich musst du heiraten, wenn du frei bist. Meine Freigelassenen werden sich um dich reißen! Und nicht nur wegen der Mitgift. (Hier könnte er die sexuellen Vorgänge resultatlos beenden.) Und vergiss nicht: Alles wie vereinbart, und es kann dir nichts passieren!

2. Thrax bei Fabius. Erster Vorzimmer, sie besticht die Wache mit einem kleinen Geschenk. Zweites Vorzimmer, großes Geschenk. Drittes Vorzimmer, hohe Bestechungssumme für die Wache. Thrax wartet, bis Fabius sie anspricht.

Fabius: Was führt dich denn zum kurulischen Ädil?

Thrax: Ich weiß, wie es kommt, dass so viele bessere Leute erkranken und sterben.

Fabius: Bitte keine Geschichten von schwarzer Magie! Warum hat die Wache dich vorgelassen?

Thrax: Ich will es dir aber nur sagen, wenn du mir versprichst, dass ich durch meine Anzeige keinen Schaden erleide.

Fabius: Durch deine Anzeige keinen Schaden? Verschwende meine Zeit nicht mit deinem Aberglauben!

Fabius winkt der Wache, Thrax hinauszuführen.

Thrax: Durch menschlichen Frevel erkranken und sterben die besseren Leute.

Fabius gebietet der Wache Einhalt.

Thrax: Es sind Menschen daran schuld, dass es die Seuche gibt. Sie stellen Gift her. Und dann werden die Leute krank.

Fabius: Das Gift ist also bei den Leuten, die es herstellen, es erkranken aber Leute, die das Gift gar nicht berühren?

Thrax: Die Leute schlucken das Gift. Die bösen Leute stellen das Gift her und die anderen nehmen es ein und sterben.

Fabius: Und wie bringen die bösen Leute ihre Opfer dazu, das Gift einzunehmen? Durch Zaubersprüche?

Thrax: Durch List. Durch Frevel. Ohne Zaubersprüche.

Fabius: Um für dich Straffreiheit zu erwirken, muss ich mich an die Konsuln wenden. Und wenn die Konsuln zustimmen, müssen sie sich an den Senat wenden. Und wenn der zustimmt, ist garantiert, dass du keinen Schaden nimmst. Das ist ein ungewönlicher und aufwendiger Amtsweg wegen einer Magd. Aber da es um das Heil Roms geht, bleibt mir keine andere Wahl. (Zur Wache:) Bringt sie ins Badehaus, waschen und neu einkleiden. (Zum Sekretär:) Schreib: Quintus Fabius Maximus grüßt die Konsuln Marcus Claudius Marcellus und Gaius Valerius Flaccus. Eine Sklavin gibt an, den Grund der unter den Herrschenden der Stadt — nein, anders — der unter den Besten der Stadt wütenden Seuche zu kennen. Es ist ihr aufgrund ihres Auftretens — nein, anders — aufgrund ihrer mir gegenüber gemachten Aussage eine gewisse Glaubwürdigkeit zuzubilligen. Sie erbittet den Schutz Roms, da sie als Folge ihrer Aussage — nein, anders — geh, schreib das gescheit, weil sie halt Angst hat, dass man ihr was antut, usw. usf. Danke.


Version vom 12. Juli 2015

© Kurt Leutgeb