lesung
© Martin Amanshauser

Writers‘ Fußball

1.

In den wenigen Jahren meiner Zugehörigkeit zum Österreichischen Autorenfußballteam habe ich es nicht nur zum Stammspieler auf der Position des rechten Sechsers und zum Vorstandsmitglied in der Funktion des Kassiers gebracht, sondern ich bin auch Willy Kaipels Adlatus geworden. Stammspieler wollte ich werden, zum Kassier und zum Adlatus habe ich mich machen lassen.

Meine einzige Aufgabe als Willys Adlatus ist es, immer wenn der Trainer selbst nicht zu einem Spiel von uns kommen kann, die Aufstellung telephonisch von ihm entgegenzunehmen, diese vor dem Anpfiff unter gemurmelten Unmutsäußerungen und wegwerfenden Handbewegungen meinen Mitspielern zu verkünden und mich eventuell noch durch eine motivierende Pausenansprache weiter unbeliebt zu machen. Dazu qualifiziert mich bestimmt meine Loyalität zu Willy und vielleicht eine gewisse fußballerische Kompetenz. Wahr ist freilich auch, dass meine Geschichte mit Willy weit vor das Autorenteam zurückreicht in meine Kindheit in den siebziger Jahren, als er Tormann des SK Vöest Linz war und ich Fan. Allerdings nur ungefähr so wahr, wie dass Egyds Schrei den Geist von Unna gebar: poetisch wahr. Denn faktisch erinnere ich mich nur, vom Stehplatz aus durch weiße Bierbecher und blau-weiße Fahnen hindurch Erwin Fuchsbichler im Vöest-Tor gesehen zu haben. Dass auf der Ersatzbank Willy Kaipel saß, wusste ich als Sieben- oder Achtjähriger kaum.

2.

The real reason for Willy’s faith in me has nothing to do with personal loyalty, football competence, or longstanding acquaintance. It is a secret I would not dare share with you, if Willy were not safely away in Poland.

It cannot have escaped your attention that the first thing Christian Futscher praised Willy Kaipel for in his song 1 was immediately remembering all the players‘ names. The deeper significance of this fact is that Willy lines up his players, i.e. us, according to our names, our first names, given names to be precise.

Not so long ago, forenames were officially called Christian names throughout the English-speaking world. And about half the given names in our team may indeed be called Christian due to their Latin or Greek roots and association with saints, popes, and the like. In today’s starting lineup, these were the two Christians, Andreas, Clemens, Martin, and Thomas. The other five starters bore Germanic names: Gerhard, Reinhard, Rudolf, Günther, and Kurt. The goalkeeper and all the players on the left have Christian forenames. The players on the right bear Germanic ones. 2

3.

Zurecht schalt man den sélectionneur Raymond Domenech, weil er sich von den Horoskopen seiner Spieler leiten ließ, denn der Glaube an die Sterne ist ein ebenso verbriefter Unsinn wie jener an Götter, obwohl es die Sterne immerhin gibt und um ihretwillen kaum jemand seiner Freiheit und seines Lebens beraubt wird. Hingegen ist nichts angebrachter, als sich bei der Aufstellung einer Autorenfußballmannschaft von onomastischen Prinzipien leiten zu lassen. Kicken könnma ned, heißt es im Wilhelm-Kaipel-Lied, also darf etwa vorhandene Schnelligkeit oder Dribbelstärke nur ein sekundäres Kriterium sein. Der Name aber ist ein sprachliches und literarisches Kriterium und daher, wie Willy und ich wissen, der einzig legitime Leitfaden beim Aufstellen einer Autorenfußballmannschaft.

Die Bezeichnungen christlich und germanisch möge man als historisch verstehen, sie sind in der Gegenwart fast so willkürlich wie die Null und die Eins beim Computer. Wichtig ist die Binarität. Wie es beim Computer nur Nullen und Einsen gibt, so bei uns nur Einsen, aber christliche und germanische. Dieser Umstand verdankt sich zweifellos der Herkunft aller Mannschaftsmitglieder aus der autochthonen österreichischen Mittelschicht im allerweitesten Wortsinn. Deshalb sind auch unsere Nachnamen binaritätsuntauglich, denn fast alle sind germanisch. In der österreichischen Nichtautorenfußballnationalmannschaft ist das übrigens etwas anders.

Die literarische Effektivität würde nun Aufzählungen und Gegenüberstellungen von Arnautovic und Berger, von Kavlak und Stocker verlangen, doch zu leicht könnte Willy mich dann von der Mitte an den rechten Rand rücken. Der ethische Imperativ, oder auch nur sein zur Benimmregel verzerrter farcischer Nachhall, die politische Korrektheit, sticht den ästhetischen hier aus.

4.

Writers‘ football is hardly a spectator sport. But could there be a niche for us, somewhere between the masters‘ events and the parasport competitions?

Usually during their third or fourth postgame drink, one of the former professional footballers we sometimes play with or against might remark, No offence, but I can’t understand why Willy coaches you lads. No offence, but you lads, you can’t play football. This is the legitimate stance of a man who knows sporting excellence from experience and protects it as his own species of capital. Watching us play, one will not experience what J. M. Coetzee, unconvincingly but aptly, singles out as the reason for the hard-to-explain pleasure which witnessing sporting prowess, that waste of time, affords us: that one „can no longer distinguish the ethical from the aesthetic.“ 3 Unconvincingly, because the pain some of us may at some point in their lives have felt at the divorce of the ethical and the aesthetic is a highly intangible one, a first-world problem among first-world problems; aptly, because only something as far-fetched and elemental as the distinctibility of the ethical and the aesthetic is likely to account for such a strange phenomenon.

On the invitation cards for this evening’s event you will find a notorious quotation from Austria’s eternal hero of Córdoba, Hans Krankl: The only thing that counts is winning. Everything else is primary. As, again, J. M. Coetzee remarks, the sporting hero, who was „only one step short of the divine“ during the game, „is compelled to resume his mere earthly status“, is even „ritually humiliated“ 4 in the postgame interview. In writers‘ football, it is the other way round. We may expose ourselves to ridicule on the pitch, but in the postgame reading we do what we do best and on a good night even achieve a reunion of the ethical and the aesthetic.

5.

Wie der ehemalige Profifußballer den Autorenkick schmäht, so der fußballerisch unempfängliche Kulturspießer die, wie man jenseits des Gürtels manchmal hört, „Proleten“, die keinen geraden Satz herausbringen und so viel Geld verdienen. Und auch dem Kulturspießer sei das Recht, seine Kapitalsorte zu verteidigen, unbenommen.

Aber schlechter Fußball ist etwas anderes als schlechte Literatur. Im Sport sind die Leistungen recht objektiv messbar, etwa daran, ob man gewinnt oder verliert. Von links höre ich die diffuse Klage, der „Neoliberalismus“ habe den Fußball entwurzelt, zum Geschäft gemacht usw. Immerhin schaffen diese Verhältnisse — ich vernehme ein Cliché von rechts — „Exzellenz“, nämlich Fußball auf sehr hohem Niveau. In der Literatur hingegen bringt die gegenwärtige Herrschaftsordnung vor allem eine Art von Exzellenz hervor: jene (eine alte Klage von rechts) der „Mediokrität“. Denn die Schaufenster- und Preisträgerliteratur, ähnlich wie die Parteiliteratur in der Sowjetunion, ist gemeinhin nicht schlecht, sondern von exzellenter Mediokrität. Der Samizdat freilich ist in der Diktatur der Medienkonzerne staatlich gestützt, bleibt aber wie der Tamizdat im Internet ganz ohne Wirkung.

Ich persönlich schaue mir die österreichische Bundesliga zumindest genauso gern an wie die Champions League. Allerdings würde ich ihr keine Preise verleihen.

Am liebsten aber schaue ich mir die Spiele der österreichischen Nationalmannschaft an, nämlich der echten und richtigen, der Nichtautorenfußballnationalmannschaft. Ein Fußballfan ist freilich zunächst einmal Fan einer Vereinsmannschaft. Den SK Vöest Linz, dem ich durch meine lokale und soziale Herkunft anhing, gibt es aber nicht mehr; man könnte mit einem gewissen Recht sagen, dass er Opfer des „Neoliberalismus“ wurde. Also habe ich Fußballvereinswitwer eine Beziehung zu unserem ewig aufstrebenden Team begonnen und halte der Vöest dabei über ihr Ende hinaus die Treue.

Im Fußball, der ja ein sublimierter Krieg ist, dürfen wir patriotisch, sogar nationalchauvinistisch empfinden. In der Literatur ist ein österreichischer oder schottischer Patriotismus ziemlich unangebracht, denn aus welchem Land eine Autorin kommt, ist ebenso sekundär wie ihr Geschlecht, ihre politischen Überzeugungen, ihre Lieblingsspeise. Primär ist nur die Sprache. Wer Englisch schreibt, ist ein englischsprachiger, vulgo englischer Autor. Wer Gälisch schriebe, wäre ein gälischer Autor. Und wer wie Matthew Fitt Scots schreibt, ist ein Autor des Scots. Verschiedene Sprachen in der Literatur sind wie verschiedene Sportarten im Sport.

6.

Regaling our Scottish guests with Austrian English never seemed like a good idea. Let me give you five reasons.

One, the Scots are hardly in a position to reciprocate with a reading in German, and reciprocity, o Marcel Mauss, is the principle of all present-giving.

Two, I am an English teacher. For me, English is business, not pleasure. Like doctors despise their own and our health, like lawyers abominate justice, like literary critics hate literature, I have an ambivalent attitude towards the English language. When an Italian asks me, of course in Italian, for the way to some touristic sight in the first district, I tell them with a happy heart. When someone addresses me in English, I muster my sternest politesse.

Three, English has somewhat lost its charm now that it has gone global. The world would be a dire place without the Anglosphere, but the many journalists and academics outside it who act as if there were only their respective mother tongues and English are worse than any monoglot English-speaker. Because monoglots they often are, as monoglot as your local bookshop. In this leaden age of English, I sometimes wish for a bronze age of Latin.

Four, there is the issue of empire, which I am prudent enough not to lecture the Scots on. I must admit, however, that I like imperial measurements and find their charm undiminished by globalization, refreshed indeed by their marginalization even in football usage.

Five, English is a victors‘ language, and the Austrians have a winning problem. They celebrate the 3:2 against Germany at Córdoba in 1978, which meant that their northerly neighbours did not advance to the semifinal, and nothing whatsoever to Austria. And they are to celebrate our 1:1 against England at Unna in 2011, which meant that Scotland’s southerly neighbour did not advance to the semifinal, and nothing whatsoever to Austria.

But there is no shame in benefiting from a victory in football.


 

1 Vom Wilhelm-Kaipel-Lied gibt es derzeit keine Aufnahme im Netz. Christian Futscher sang an diesem Abend aber auch Hurt. Die englische Übersetzung ist von mir — wohingegen ich das Kaipel-Lied nicht in sangbares Englisch zu bringen vermochte; die Schotten stimmten in den Refrain („Willy Kaipel“ nach der Melodie von Leonard Cohens Hallelujah) freilich auch auf Deutsch mit ein.
2 Im Länderspiel gegen die Schotten sah das so aus:
———Chr (GK)——–
Ger—Ger—Chr—Chr
—–Ger—–Ger—–
Ger——Chr——Chr
———Chr———
Ganz ähnlich gegen Israel ein Jahr später:
———Chr (GK)———
Ger—Ger—Ger—Chr
—–Ger—–Ger—–
Ger——Chr——Chr
———Chr———
3 Paul Auster & J. M. Coetzee, Here and Now, Faber and Faber 2013, Seite 47.
4 Ibidem, Seite 40.

Vorgetragen am 5. Oktober 2013 in der Buchhandlung Buchkontor, 1150 Wien, anlässlich der Autorenfußballbegegnung Österreich – Schottland.

Um die Fußnoten ergänzte Version vom 1. Jänner 2015.

© Kurt Leutgeb